LAND OF PROMISE

Von Celina Basra, 2020

Das Hotel Baia Turchese liegt entrückt und zeitlos an der Küste Lampedusas, in strahlendem schläfrigen Nachmittagslicht, graphisch komponiert, beinahe wie gemalt – das gleißende Leuchten Hockneys kommt in den Sinn.

Claus Rottenbacher porträtiert in der fotografischen Serie Land of Promise eine Insel außerhalb von Raum und Zeit – zumindest auf den ersten Blick. Lampedusa, entrückte pelagische Insel, ist das Tor Europas. Der südlichste Punkt des Kontinents, zwischen Sizilien und Tunesien gelegen, 80 Seemeilen von Sfax an der tunesischen Küste entfernt. Sehnsuchtsort und tödliche Grenze fallen in eins: auf Lampedusa konzentrieren sich die Migrationskonflikte der komplexen politischen Gegenwart auf 20,2 km².

Der Berliner Fotograf arbeitet gewöhnlich analog. Jedes einzelne Bild wird sorgfältig komponiert, der Prozess des Fotografierens, des sich Einlassens auf sein Sujet, benötigt viel Zeit. Für Land of Promise jedoch wählt er eine neue Strategie. 2018 fotografiert er innerhalb von 10 Tagen Ansichten der Insel, so schnell wie ihn sein Motorroller trägt, mit einer Digitalkamera. So ist sein Blick beweglich und nah am Sujet; die Fotografien zeichnen ein dichtes, atmosphärisches Bild der Insel.

Auch in diesem Arbeitsprozess steckt sehr viel Zeit, denn seit 2003 reist Claus Rottenbacher jedes Jahr nach Lampedusa. All diese Jahre brauchte der Fotograf, um seinen ganz eigenen Blick auf die globalen Themen Flucht und Migration zu finden. Mit sensibler Hand und großer gedanklicher und formaler Beweglichkeit zeigt Claus Rottenbacher die Insel abseits stereotyper Medienbilder und romantisierender Urlaubsansichten: nie plakativ oder voyeuristisch, durchdringt die Betrachter*in das Sujet meist auf den zweiten Blick.

Die Sujets werden in Land of Promise selten frontal ins Bild gesetzt; meist wählt Rottenbacher Rück- und Unteransichten oder diagonale Kompositionen. So auch in der Fotografie eines christlichen Kreuzes, in blaue Folie gehüllt, verschnürt wie ein Paket, mit groben Seilen stabil zusammengehalten. Hinter dem Kreuz, ganz klein, sieht man die Spitze der Kirche, der es geschenkt wurde. Und wieder der gleißend blaue Himmel, Hauptprotagonist der Serie. Schon am nächsten Tag war es enthüllt, das Geschenk von Papst Franziskus an die Gemeinde, in Angedenken an das größte Bootsunglück der Geschichte Lampedusas am 3. Oktober 2013: Vor der Küste der Insel sank ein Kutter mit etwa 545 flüchtenden Menschen aus Somalia und Eritrea. 366 Menschen starben, 155 konnten gerettet werden. Die Zahlen sind Schätzungen.

Wir reisen mit dem Fotografen auf seinem Roller über die Insel und bleiben an Details hängen, die mit großen und kleinen Narrativen aufgeladen sind. Das Schild des Beachclubs Parallelo deutet an: wir bewegen uns ständig in Paralleluniversen. Urlaub und Flucht operieren beide mit Sehnsucht als menschlicher Grundemotion. Sehnsucht aus existentieller Not – Hoffnung –, und Sehnsucht aus Überfluss – Eskapismus. Proteggere le persone non i confini, so liest es sich, die Farbe bereits abgeblättert, an einer Wand der Via Punta Favaloro: Schützt die Menschen, nicht die Grenzen. Eine Innenansicht aus einem kleinen Insel-Kiosk mit Konditorei zieht den Betrachter unmittelbar ins bunte und ungeordnete Interieur hinein: die glänzenden Torten wecken Erinnerungen an Italienurlaube, die universal funktionieren. Oder möglicherweise doch nicht? Aus welcher Perspektive schauen wir? Und wer ist wir? Diese Fragen schwingen in der Betrachtung von Land of Promise subtil mit.

Erstmals ist in Claus Rottenbachers Werken auch ein einzelner Mensch zu erkennen: ein Street Food-Truck mitsamt Verkäufer, neonbeleuchtet und grell beschriftet, im staubigen Abendlicht. New Generation und Cornucopia versprechen Fast Food für eine neue Generation. Cornucopia ist italienische Süßspeise und zugleich lateinisch für das Füllhorn, ein mythologisches Symbol für Glück, Fruchtbarkeit, Reichtum und Überfluss.

Scheinbar unvereinbar, und doch existiert all dies auf Lampedusa nebeneinander, unter der demokratischen gleißenden Sonne, auf der Insel, die in all ihrer Kargheit zu einem Symbol geworden ist: Versprechen, Flucht, Schiffsfriedhöfe, Sonnensuchende und süditalienische Süßigkeiten.

Alle Fotografien sind als limitierte Prints erhältlich.