ICC

von Gesine Borcherdt, Berlin

Claus Rottenbachers Fotografieserie zum ICC – dem Internationalen Congress Centrum Berlin – ist das Portrait eines Gebäudes, das heute wie aus der Zeit gefallen wirkt. Die ikonische, sperrige Giga-Architektur von Ralf Schüler und Ursina Schüler-Witte am Westberliner Autobahnkreuz wird im Volksmund „Raumschiff“ genannt; Rottenbacher nimmt es anhand seiner Innenwelt ins Visier und betont dessen futuristischen Charakter durch den Blick auf einzelne Gebäudefragmente: Handläufe, Toilettentische, Parkhauszufahrten, Durchgänge, Garderobenbereiche oder auch ganze Säle. Auf diese Weise entsteht eine eigenartige, entleerte Atmosphäre – das Gebäude wird zur Kulisse, dessen Bestandteile wie stumme Protagonisten wirken.

Eröffnet 1979, mit 80 Sälen für bis zu 5000 Plätze auf einem Umfang von 320 x 80 x 40 Metern, wurde das ICC im April 2014 für Veranstaltungen geschlossen. Rottenbachers Aufnahmen sind kurz vorher entstanden und damit auch als Hommage an eine Architektur zu verstehen, die an der Schwelle zur Postmoderne durch Formenvielfalt, Überdimensionierung und technologischen Ehrgeiz besticht – und der etwas Absurdes anhaftet. Der Gesamtkonstruktion wohnt eine Utopie inne, die Rottenbacher mit seinem Blick für beiläufige, aber atmosphärisch dichte Strukturen mit der Plattenkamera aufspürt.

Rottenbachers Sicht auf funktionale Architektur geht zurück auf die Schule von Bernd und Hilla Becher, die seit den späten 1960er-Jahren Industriebauten wie Wasser- und Fördertürme aufnahmen. Diese „anonymen Skulpturen“ vermitteln die eigenartige Schönheit von Gebäuden, die heute größtenteils abgerissen sind. Das Schwarz-Weiß und die immer gleichen Perspektiven der Aufnahmen betont den nüchternen, typologischen Charakter der Bauten, die in der Tradition der Neuen Sachlichkeit zu verstehen sind. Dagegen entwickelten die sogenannten Becher-Schüler aus Düsseldorf – Andreas Gursky, Candida Höfer, Axel Hütte, Thomas Ruff, Jörg Sasse und Thomas Struth – in den späten 1980er-Jahren einen malerischen und erzählerischen Blick der Fotografie. Durch digitale Bildbearbeitung werden die Konventionen eines Mediums in Frage gestellt, das Architektur anhand von übervölkerten Börsen, Technoclubs und Supermärkten (Gursky), anonymen Brücken- und Gebäudeteilen (Hütte) oder menschenleeren Bibliotheken, Museen oder Kirchen (Höfer) verhandelt. Claus Rottenbachers fotografischer Blick ist in der Nachfolge dieser Positionen zu verstehen, teilt er mit ihnen doch das Gespür für ruhige, ausgefeilte Bildkompositionen. Dennoch ist die Personalisierung einer ikonischen Architektur wie dem ICC ein gänzlich anderer Ansatz: Der Blick auf den Detailreichtum geometrischer Versatzstücke, wie er an Teppich- und Kachelmustern, Konferenzsesseln, Signalzeichen, Lampen, Treppenaufgängen, Sitzreihen und Parkhausfenstern abzulesen ist, fängt den ästhetischen Grundton des Gebäudes auf eine Weise ein, wie er sich durch die möglichst neutrale Sichtweise der Bechers und ihrer Schüler nicht vermitteln ließe.

Den menschenleeren Räumen und Raumbereichen entströmt dabei je nach Perspektive eine beinahe surreale Stimmung. Geländer, Treppen und Rampen werden durch schräge Schattenwürfe (Vorfahrt, Kiosk I, Handlauf II), Nahaufnahmen (Pullman Lounge, Vorraum Garderobe, Kiosk II) oder dynamisierte Sichtachsen (Treppenhaus, Schminktische II, Saal I, Fußgängertunnel) betont. Die Aufnahmen ganzer Raumkörper transportieren eine intensive Eigendynamik – durch Querverstrebungen, Einbauten, Musterungen und Materialvielfalt spiegeln sie die den facettenreichen Charakter des Außenbaus als Volumen, das im Gegensatz zu den kubischen Baukörpern der Moderne absolut nicht auf einen Blick fassbar ist.
Die Künstlichkeit der Innenräume als Teil einer übergeordneten Großkulisse hebt Rottenbacher zusätzlich durch leichte Überbelichtung oder behutsame Glättung hervor, wodurch sie wie Settings eines Science-Fiction Films, altmodische TV-Studios oder Nachbauten historischer Schauplätze erscheinen – ähnlich derer, wie sie Thomas Demand aus Pappe für seine Fotografien baut, um auf die Konstruktion von Wirklichkeit zu verweisen.

Auch Rottenbacher legt Konstruktionen frei: Die eines historischen Gebäudes, dessen Zeit nach nur 35 Jahren abgelaufen ist, und damit auch die Utopie, die dahinter steckt. Zwar ist jede Architektur mit Visionen verbunden; doch die des ICC, Westberlin mit einem gigantischen „Raumschiff“ zum globalen Anziehungspunkt zu machen mutet gerade aus heutiger Sicht obsolet an. So futuristisch die Bilder erscheinen, so sehr erzählen sie von einer kurzen, form- und fantasiebeladenen Vergangenheit, deren Vision zwischen Genialität und Naivität hin- und her kippt.

Claus Rottenbacher bietet die Serie in zwei Mappen an, die jeweils aus 11 Motiven bestehen (Nr. 1-11 und Nr. 12-22), Format A3, 25er Auflage(+ 3 AP). Darüber hinaus gibt es eine „Collectors Choice“, bei denen 11 Blätter der eigenen Wahl zusammengestellt werden können. Das Großformat für die Wand in 3er-Auflage + 1AP ist ebenfalls erhältlich.