Raumporträts

Zu zwei photographischen Serien von Claus Rottenbacher
von Rafael v. Uslar, Berlin, Wanne-Eickel

In seinem Projekt Prostratio (2009-2011) verband Claus Rottenbacher den Kunstgriff einer außergewöhnlichen Positionierung seiner Kamera in römischen Kirchenräumen mit der Inhaltlichkeit einer kritischen Polemik gegen die Institution der katholischen Kirche. In diesem Projekt nehmen konzeptionelle Anlage des Bildes und dessen Aussage den gemeinsamen Weg über einen auf den Kirchenboden abgelegten Photoapparat. In seinen neuen photographischen Serien zu zwei Orten in Berlin, der FAHRBEREITSCHAFT in Lichtenberg und dem Internationalen Congress Centrum (ICC) in Charlottenburg, verzichtet Rottenbacher auf Inhalte stiftende Kunstgriffe und nähert sich Räumen auf eine für ihn neue Art und Weise.

Unterschiedlicher könnten die Orte nicht sein, und eben darin sind sie charakteristisch für die Stadt Berlin und ihre historische Teilung in einer Teilhabe an zwei unterschiedliche politische und kulturelle Ordnungen. FAHRBEREITSCHAFT, ein in den späten 50er Jahren renovierter Industriebau der Jahrhundertwende. Seit 1953 ist es ein Objekt der Abteilung „Verkehr“ des ZK der SED und unterliegt seit 1971 der Geheimhaltung. Das Internationale Congress Centrum Berlin ist eines der größten Kongresszentren der Welt und eine bis ins kleinste Detail durchgestaltete Architekturikone Westberlins und wurde nach den Plänen der Architekten Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte in vierjähriger Bauzeit von 1975 bis 1979 fertiggestellt.

Die Bilder zur FAHRBEREITSCHAFT zeigen Räume, die in den späten 50er oder frühen 60er Jahren grundrenoviert und möbliert wurden. Dabei ist es ebenso bemerkenswert wie für die Geschichte des Ortes zugleich charakteristisch, dass sich eine solche Ausstattung nahezu ohne Verluste, wie es scheint, in die Zeit bis zur Wende erhalten hat, um nun ihrer bewussten, historisch verantwortlichen Bewahrung entgegen zu gehen. Die Ausstattung mit Veranstaltungsräumen mit Bar, Sesselgruppen, Kegelbahn, Sauna und Massageeinrichtung vermittelt die Vorstellung einer Infrastruktur für Geselligkeiten und leibliches Wohlbefinden. Der 60er-Jahre-Chic verrät eine Vorstellung von Gestaltung und Luxus, die sich in ihrer Ausführung als ein wenig billig und schäbig zeigt, auch dann, wenn man über den zu vermutenden Nutzungsverschleiß von immerhin 50 Jahren bewusst hinweg sieht.

Die Photographien von Claus Rottenbacher lenken in ihrer Folge die Aufmerksamkeit auf eine Reihe höchst ungewöhnlicher Bildhelden, die, einmal entdeckt, eine Vielzahl der Räume und deren Abbildungen zu dominieren scheinen. Ein Beispiel hierfür ist die Heizungsanlage des Gebäudes, die mit Röhren, Heizkörpern in großer Zahl und allerlei begleitendem technischem Gerät ihren großen Auftritt hat. Wände und Wandnischen werden hier skulptural strukturiert und eine blaue Sitzelementelandschaft kann schwerlich mit der beeindruckenden Präsenz der Wärmeapparaturen konkurrieren. In der Zeit ihrer Installation in das alte Gebäude muss die Anlage einen besonderen Luxus dargestellt haben, zieht man in Betracht, dass noch bis zum Ende der DDR eine Vielzahl der Ostberliner Haushalte mit Kohleofenheizungen Vorlieb nehmen mussten. Hier kommt es zu einem interessanten Wechselspiel von Zeigen und Verbergen an diesem ungewöhnlichen Ort: Das, was als Luxus gezeigt wird, würde dann wahren Luxus demonstrieren, wäre es verborgen. Dieses findet seine sinnfällige Entsprechung darin, dass der Ort, der sich als mondän und wohl ausgestattet behauptet, wiederum im Verborgenen bleibt. Ihn zu sehen und zu nutzen, war denen vorbehalten, die eine Schattenwirtschaft der Unsichtbarkeiten und des dubiosen Luxus betrieben hatten.

Das Internationale Congress Centrum (ICC) im Berliner Westend präsentiert sich als eine bedeutende, bis ins kleinste Detail durchgestaltete Architekturikone der 70er Jahre. In diesem Gebäude wird sämtlichen Raumelementen eine große Geschlossenheit verliehen; sie werden als Module, als skulpturale Körper gestaltet. Alle Elemente des Raumes sind in Korrespondenz zueinander überformt. Jedes Gestaltungsdetail bestätigt jede weitere Formgebung. Nirgendwo kann das Gestaltete nicht gesehen werden und verliert sich in eine Totalität, in der jeder Aspekt des Raumes von Musterstrukturen geprägt zum großen dreidimensionalen Ornament gesteigert wird. Hinzu kommt, dass egal zu welchen Ausmaßen und zu welcher Tiefe der Raum auch findet, immer zeigt er seine Abgeschlossenheit. Dieser vollständig neu überformte, nach außen sich abschottende Raum tritt als eine radikal sich ästhetisch behauptende Gegenwelt in Erscheinung. Die Spannung zwischen betörendem gestalterischem Furor und klaustrophobisch anmutender Verkapselung ist ein treffendes Sinnbild für die kreative „Insel“ Westberlin zu Zeiten des Deutschen Herbst.

Claus Rottenbacher begegnet dem Ort mit großem ästhetischem Respekt. Auch hier lenkt er mit seinen Bildern den Blick auf bemerkenswerte Details. So zeigt er zum Beispiel einen, einem Säulenhalbrund folgenden Geländerlauf, der mit dieser Rundung der Kreisform des Teppichmusters folgt, die wiederum mit der Betonsäule korrespondiert. Bildheld jedoch ist der Schattenwurf des Geländers auf der Säule, der aus dieser Ordnung ausbricht und wie die Windkämme von Eduardo Chillida als ein mächtiger Wiederhaken auftritt. In einer zweigeschossigen Halle stehen zwei mächtige, aus Rolltreppen geformte Metall-Kreuze und bilden nur scheinbar das Zentrum des Bildgeschehens. In dessen Mittelpunkt hingegen erscheint eine Normalzeituhr, der alles im Raum zu Rahmen und Echo zu werden scheint. Die Kreisrunde des Teppichmusters laufen konzentriert auf sie zu wie ein ihr formverbundenes, zugehöriges Fußvolk. Ihren mächtigen Verwandten haben diese Rundformen wiederum in der Decke eines Sitzungssaales. Diese ist als Formelement dermaßen eigenständig, dass sie, in gefährlicher Neigung auf den Raum einwirkend, diesen in seiner Höhenausdehnung zu bedrohen, wenn nicht gar in Frage zu stellen scheint. Die Bilder sind eine schöne Einführung in die beredten erzählerischen Konsequenzen einer Raumwelt, die sich als in sich geschlossene, dreidimensionale ornamentale Totale in einer sich beständig selbst bestätigenden Ästhetik verliert.

Claus Rottenbacher hat die FAHRBEREITSCHAFT und das ICC in den Monaten Februar und März 2014 photographiert. Am Beginn des Projektes stand nicht das Konzept zweier zusammengehöriger Serien. Ausgangspunkt war vielmehr die Gelegenheiten an beiden Orten parallel zueinander zu photographieren. Erst in der Arbeit an den beiden so unterschiedlichen Orten eröffneten sich über die Photographien bemerkenswerte Gemeinsamkeiten.

Der Blick des Photographen Claus Rottenbacher hat sich geschult an seiner Tätigkeit als Porträtphotograph. Seine Kinderporträts sind Auftragsarbeiten, die er zumeist als Serien anlegt, mit denen er die Porträtierten über Jahre begleitet. Seine jugendlichen Modelle versetzt er in eine räumlich neutrale Situation, vor der er sie mehr oder weniger frei agieren lässt. Die von ihm als charakteristisch eingeschätzte Pose, der typisch erscheinende Blick, die als authentisch beobachtete Haltung, werden das Porträt.

Für den großen Berliner Kultursoziologen Georg Simmel geht es in einem Porträt in einem ersten entscheidenden Schritt darum, den Sinn einer Erscheinung zur reinen Darstellung zu bringen. Es geht darum, das zu zeigen, was das Charakteristische einer Erscheinung ausmacht jenseits einer Wahrnehmung von Sprache, Mode, Umgebungen und Geschehnissen, kurzum all dem, woraus sich Menschen, die einander begegnen, als äußerem Zusammenhang kaum lösen lassen. Eine solche reine Darstellung also sollte das sichtbar machen, was man sehen könnte, wäre das Auge in der Wahrnehmung hinreichend selbstständig.

Rottenbacher wählt in der Darstellung seiner Räume sehr klare und überschaubare Kompositionen. Oft sind die Bilder angelegt als bühnenhafte Einblicke, Guckkästen auf Papier. Der klare, zurückhaltende Bildaufbau lässt dem Blick freien Lauf in seiner Erkundung all dessen, was auf diesen Bühnen seinen Auftritt hat. Oft sind es skurrile Entdeckungen, die es dort zu machen gibt. Eigenwillige räumliche Zusammenhänge, entlegene Bildhelden, denen das Auge im Raum oft nicht ohne Weiteres die große verdiente Aufmerksamkeit widmen würde, die sie hier in den Photographien gewinnen. So wird in den Serien offensichtlich, dass Rottenbacher über eine Konzentration auf das Detail, das, was er im jeweiligen Raum als das besonders Charakteristische entdeckt, zum Ausgangspunkt seiner Darstellung des gesamten Raumes nimmt.

Solche Bobachtungen erlauben es, zwischen der konzeptionellen Anlage der Porträts und der gewählten Strategie zur Darstellung von Räumen entscheidende Ähnlichkeiten zu erkennen. Hier werden keine Raumordnungen oder Funktionszusammenhänge zum visuellen Untersuchungsgegenstand gemacht, es werden auch keine Beobachtungen mit ironischem oder anekdotischem Potential ins Bild gerückt. Die Bilder konzentrieren sich vielmehr auf ein Erkundungsangebot, das den Räumen Charakteristische auszumachen und zu einer möglichst ‚reinen’ Darstellung zu bringen. In diesem Sinne lässt sich das photographische Projekt von Claus Rottenbacher am besten als eine Erarbeitung von Raumporträts bezeichnen.

So unterschiedlich die Raumfolgen auch sein mögen, die hier im Porträt als zwei eigenständige Serien aufeinander treffen, die Photographien zeigen, dass sie mehr verbindet, als von Claus Rottenbacher auf sehr ähnliche Art und Weise gesehen worden zu sein. Beide Orte beziehen ihre Spannung und Eigenart aus dem Umstand, dass sie einen bestimmten Moment ihrer Gestaltung für Jahrzehnte über alle Veränderungen in Zeiten und Stilen hinaus haben bewahren können. Beide Orte dokumentieren auf einzigartige Weise Zeitgeschichte und sind für sich genommen Raum gewordene Bilder mit großem erzählerischen Potential. Claus Rottenbachers behutsame Raumporträts richten das Augenmerk auf das den Räumen Eigene und schärfen so den Blick auf das, was an ihnen als Mitteilung wahrgenommen werden kann. Und so finden die beiden als eigenständig angelegten Serien zu einem gemeinsamen Thema, das nicht weniger als die Geschichte Berlins, das ästhetisch Charakteristische zweier weltanschaulicher Systeme und einen kleinen Exkurs über das Zeigen und Verbergen zum Gegenstand seiner Erzählung macht.